Daher soll die Anerkennung dieses unermesslichen unverlierbaren Werts des Menschen der phänomenologischen Beschreibung des Menschenbilds als implizite Selbstverständlichkeit vorangestellt werden; so wie das Ungeborene (in der Regel) bereits einen unschätzbaren Wert für die Eltern, Großeltern u. a. hat, obwohl es als konkrete Person noch nicht in Erscheinung getreten ist.
Zum Zeitpunkt seiner Geburt ist sich das Neugeborene seines Wertes als eine eigene Persönlichkeit vermutlich noch nicht bewusst. Erst im Austausch mit der Mutter und anderen Bezugspersonen entwickelt es allmählich ein Wertempfinden im Wechsel von angenehm und unangenehm bzw. Freude und Leid. Gleichzeitig entsteht eine Unterscheidung von Gut und Böse bzw. Gerecht und Ungerecht bzw. von Gerechtfertigtsein und Schuldhaftigkeit als Anteile der menschlichen „ersten“ Person, des „Ichs“.
Das in dem „Ich“ des Menschen zugrunde gelegte Menschenbild soll so skizziert werden:
Der Mensch erscheint in einer geistigen, einer affektiv-emotionalen, einer körperlich-materiellen und in einer energetischen (elektro-magnetischen) Art und Weise.
Darüber hinaus kann noch eine spirituelle Erscheinungsform beobachtet werden, der aber von vielen Menschen nicht die Evidenz wie den vier zuvor genannten zugeschrieben wird.
Zunächst soll die geistige Erscheinungsform beschrieben werden. Zu dieser geistigen Seite oder geistigen Dimension gehören alle Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungsbilder, Pläne, Phantasien. Alles Erlernte (Sprache, Rechnen) ist ebenso im geistigen, gedanklichen Raum abgebildet, wie religiöse, politische oder weltanschauliche Ideen, Überzeugungen, soziale Regeln, Symbole und die damit zusammenhängenden Werte.
Wenn wir miteinander sprechen, tauschen wir Schallsymbole aus. Diese Schallsymbole übersetzen wir dann zunächst in elektromagnetische Muster, die mit bestimmten Bildern, Phantasien und Vorstellungen einhergehen, die mit dem Spracherwerb zunehmend mit Begriffen besetzt werden. Bei dem Wort „Tisch“ zum Beispiel haben wir als Deutsche durch dieses Schallsymbol annähernd ähnliche Vorstellungen in unserem Bewusstsein.
Das ist etwas mit der Muttersprache Erlerntes, das wir in unseren neuronalen Netzwerken abgespeichert haben.
Eine weitere Erscheinungsform des Menschen ist seine gefühlsmäßig-affektive und emotionale Seite mit Gefühlen von Angst, Eifersucht, Hass, Niedergeschlagenheit, Trauer, Ärger, Dankbarkeit, Neid, Missgunst, Scham, Überraschung, Neugier, Wut und Liebe, die ebenfalls elektromagnetische, neuronale Äquivalente haben und mit dem Wertempfinden verwoben sind: angenehme Gefühle gleich „gut“ gleich „wertvoll“ und unangenehme Gefühle gleich „schlecht“ gleich „minderwertig“.
Eine dritte Erscheinungsform ist die körperliche mit allen stofflichen Phänomenen wie Organen und Organfunktionen: Herz – Kreislauf, Darm – Verdauung, Lunge – Atmung, Muskulatur – Spannung usw.
Die vierte Erscheinungsform, die energetische oder elektromagnetische ist ebenfalls das ganze Leben in jeder Situation in spezifischer Weise miteinbezogen. Zu jedem Gefühl, jedem Gedanken, jeder Vorstellung und jeder Aktion gehören spezifische elektromagnetische Muster. Wenn ich „Tisch“ sage oder denke, spielt sich in meinem Gehirn elektromagnetisch etwas Anderes ab, es finden andere Verschaltungen (auch mit anderen affektiven Tönungen) statt, als wenn ich „Kamel“ oder „Mörder“ sage.
Doch was immer ich auch in meinem Gehirn über elektromagnetische Aktivitäten vollziehe (fühle, denke, träume, bewusst oder unbewusst registriere), es erfolgt immer gleichzeitig eine gefühlsmäßige, körperliche (z. B. Sauerstoff- und Glucoseverbrauch), gefühlsmäßige und geistige Beteiligung. Das heißt, dass ich mich immer nur als ganzer Mensch mit allen vier Erscheinungsformen gleichzeitig verhalten kann.
Einen Unterschied erzeuge ich mit meiner Aufmerksamkeitsfokussierung.
Einmal schaue ich die eine Seite an, mal blicke ich auf die andere Seite.
Zur Veranschaulichung:
Wenn man sich gegenübersitzt, sieht man nur die Vorderseite des Anderen; man weiß aber, dass die Rückseite genauso da ist. Wenn man beispielsweise den Kopf beugt oder sonst eine Bewegung macht, dann sieht man vielleicht nur den vorderen Teil, aber hinten geschieht genau das gleiche, auch wenn man das gerade nicht sieht. Der Geist (Wille), die Gefühle (z. B. kinästhetische) und meine Energie sind ebenso gleichzeitig aktiviert.
Wenn jemand den Raum verlässt, sehe ich die Hinterseite. Dabei sind seine Vorderseite sowie sein Geist, seine Gefühle und seine Energie genauso da; nur nehme ich sie in dem Augenblick nicht wahr. So etwa kann ich mir das entsprechend mit den vier Seiten des hier gemeinten Menschenmodells vorstellen.
Mit meiner bewussten Aufmerksamkeit ist die gleichzeitige Wahrnehmung aller Erscheinungsformen eines Menschen nicht möglich. Darum kommt es mir so vor, als seien diese verschiedenen Erscheinungsformen etwas Getrenntes.
In Wirklichkeit handelt es sich aber nur um eins – um eine Einheit. Das allerdings kann unser Zentralnervensystem, das analysiert – trennt – und wieder zusammensetzt, im Alltagserleben nicht leisten bzw. denken.
Diese Einheit impliziert gleichzeitig, dass eine Veränderung einer Erscheinungsform des Menschen (z. B. körperlich durch Berührung) im gleichen Augenblick mit elektro-magnetischen, gefühlsmäßigen und geistigen Veränderungen einhergeht.
Diesen Zusammenhang nutze ich in der Selbstbehandlung durch die Berührungsakupunktur.
Ich erscheine als Mensch in allen vier Erscheinungsformen ständig anders und bin doch gleichzeitig ein Ganzes, eine Einheit, eine Monade (bei Leibniz), ein Holon (bei Koestler und Wilber). Das gilt entsprechend für alle und für jeden Menschen.
Ich und wir sind gleichzeitig viele und eins (ein Paar, eine Familie, eine Gemeinde, ein Volk, eine Rasse, eine Völkergemeinschaft, eine Natur usw.).
Als Person bin ich ein Holon; ein Ganzes, das gleichzeitig Teil eines umfassenderen Ganzen (der Familie, der Menschheit, des Kosmos) ist.
So wie jede meiner Körperzellen ein verkleinertes Abbild meiner selbst ist und alle (nicht nur Erb-) Informationen über mich enthält (und somit ebenfalls ein Holon ist), so bin ich als Person ein Abbild der gesamten Menschheit. Ich bilde in mir mit allen meinen Teilpersönlichkeiten alle Facetten des Menschseins und der Menschheit ab; schon allein durch meine Milliarden von Vorfahren im Verlaufe der Millionen Jahre der Menschheitsgeschichte.
Sie alle sind ein Teil von mir. Alle und alles, die Gesamtheit ihrer Welterfahrung sind in mir abgebildet. Diese Vorstellung hatte schon Seneca. Und ich bin dann ebenfalls in allem abgebildet. Die gesamte Welt ist in mir und ich bin in der gesamten Welt.
Alles Erleben ist immer Beziehung und Begegnung mit meiner Innen- und Außenwelt.
In jeder Begegnung, sei sie real oder imaginativ, scheint sowohl etwas von meiner inneren wahrnehmenden Person (der Teil meiner beobachtenden Persönlichkeit) als auch von dem wahrgenommenen Objekt (ebenfalls eine Teilpersönlichkeit von mir und gleichzeitig etwas Anderes) in mir auf.
Dieses wahrgenommene Objekt ist eine Verschmelzung von den energetischen (optischen, akustischen) Einwirkungen realer Objekte auf mich einerseits, mit meinen spezifischen Verarbeitungsmodalitäten (bspw. Vorerfahrungen, momentane Stimmung u. a.) in diesem Moment andererseits.
Heinz von Foerster nennt diesen Prozess auch Wahrgebung.
Ich kann mich nur in Beziehung erleben; in Beziehung zu Objekten, in Beziehung zu meinen Bedürfnissen und in Beziehung zu anderen Menschen (Tieren) und deren Bedürfnissen.
Die Art und Weise wie ich wahrnehme und wahrgebe (Bedeutung gebe), spiegelt eine weitere Seite von mir wider, durch die ich wertvolle Informationen über meinen so genannten Charakter erhalten kann; ob ich z. B. eher offen oder eher defensiv, eher wertschätzend oder eher abschätzig bin.
Charakter lässt sich auch als die eigentümliche Art der bevorzugten Wahrnehmungs- und Wahrgebungsmuster definieren, die sich dann auch im Verhalten niederschlagen.
Eine weitere Seite in mir lässt das aufscheinen, was zwischen mir und dem wahrgenommenen Objekt bzw. der wahrgenommenen Person wirkt; gewissermaßen das gemeinsame Interferenzfeld.
Die Art und Weise, wie ich die Beziehungen gestalte – mehr oder weniger achtungsvoll –, ist entscheidend für meine Lebensqualität, meine Gesundheit und ebenso in gewisser Weise für das Wohlergehen meiner Umgebung, da ich gleichzeitig auch ein integraler Teil von ihr bin.
Die wirksamste Beziehungsgestaltung im Sinne der Bedürfniserfüllung gelingt mir durch (Selbst-)Berührung, (Selbst-)Mitgefühl und (Selbst-)Liebe.
Dafür Optimierungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ist das erklärte Ziel dieser Webseite.
Ich bin als ganze Person in mehrfacher Hinsicht ein integraler Teil meiner Umgebung, da ich vom Stadium der Eizelle an ständig Nährstoffe, Sauerstoff und Energie (Wärme) von außen aufnehme und für mich verarbeite und ebenso Stoffwechselprodukte, Energie und komplexe Informationen nach außen abgebe.
Gleichzeitig stehe ich mit meinen verinnerlichten Auswirkungen meiner Vorfahren und mit meinen unmittelbar eigenen Wirkungen nach außen im Austausch mit meiner Umgebung (wie folgend noch ausführlicher beschrieben). Damit bin ich in ständig wechselnder Aktualität ein mit meiner Vergangenheit und mit meiner konkreten Umgebung Verbundener. Dies hat ebenfalls eine gleichzeitige äquivalente körperliche, geistige, affektive und energetische Erscheinungsform.
Im Stadium der befruchteten Eizelle ist die Annahme einer affektiven und geistigen Erscheinungsform sicher recht spekulativ. Doch in irgendeiner Form müssen ja auch diese später offenkundig werdenden Erscheinungsweisen in dieser Eizelle z. B. epigenetisch aufgehoben sein, da sie sonst nicht in der sich entwickelnden Person zum Vorschein kämen.
Die Gesamtheit meiner Person umfasst wie ein Kosmos die unendlich vielen Erfahrungen von mir selbst in der Beziehung zu mir, in meinen Beziehungen zur Umwelt und die Erfahrungen, die ich in direkter oder indirekter (z. B. durch Medien) Anschauung bzw. Beobachtung der Umwelt gewonnen habe. Diese Erfahrungen sind letztlich alle Ergebnisse von Austauschprozessen und Informationen, die in mir, außerhalb von mir und zwischen mir und dem Außen stattfinden. In diesen Austauschprozessen geht es um die Aufrechterhaltung von Gleichgewicht und Ungleichgewicht, von Zufuhr und Abfuhr sowie von Erfüllung und Mangel. Diesen Austauschprozessen bzw. dem damit verbundenen In-Beziehung-Sein messe ich jeweils einen Wert bei, der, ob angenehm oder unangenehm, mal größer und mal kleiner ist. Am angenehmsten sind Sich-Miteinander-in-harmonischer-Gemeinschaft-Fühlen, Freude und Liebe.
Diese Gefühle und die damit verbundenen Erfahrungen werden als wertvolle Ich-Zustände (Ego-States) bzw. als mit Wert erfüllte Teilpersönlichkeiten in mir abgespeichert.
Abweichungen davon erlebe ich als minderwertigen Mangel.
Diesen Mangel kann ich besonders auf einer menschlich-sozialen Ebene, wenn etwas Wertvolles bzw. ein Wert nicht erfüllt wurde und ich gemessen daran einen Minderwert in und bei mir feststelle, mit Schuld gleichsetzen.
Damit ich als Person leben kann, müssen meine Austauschprozesse bedürfnisgerecht ablaufen. Dabei können ökotrophe Bedürfnisse wie Atmung, Nahrung, Ruhe, Wärme, Bewegung, Geborgenheit, die unmittelbar mich als Individuum am Leben halten, einerseits und prosoziale Bedürfnisse wie Kontakt, Gemeinschaft, Mitgefühl, Fürsorge, Zugehörigkeit u. v. a. andererseits unterschieden werden. Diese Bedürfnisse stellen für mich gleichzeitig wichtige Werte dar. Ohne ein Mindestmaß an Erfüllung dieser Bedürfnisse kann ich nicht überleben.
Um eine bedrohliche Nichterfüllung ökotropher Bedürfnisse bzw. einen Mangel an Bedürfniserfüllung wahrzunehmen, benötige ich bestimmte Signale wie Luftnot, Durst, Heiß-Kalt-Empfindungen, Hunger, Müdigkeit, Erschöpfung, die mich aufmerksam machen.
Die Nichtbeachtung dieser leibnahen Signale kostet mich im Extremfall das Leben.
Unerfüllte prosoziale Bedürfnisse wie Zugehörigkeit bzw. Gemeinschaft, Fürsorge, Treue, Gerechtigkeit, Harmonie, Liebe u. a. gehen mehr mit Gefühlen der Sehnsucht, der Schuld, des schlechten Gewissens, der Angst, der Scham und der Peinlichkeit einher, die mich auf die Erfüllung dieser Bedürfnisse aufmerksam machen wollen.
Das Empfinden dieser Bedürfnisse bzw. Werte und ihre Erfüllung verbunden mit meinem
Mich-gut (wertvoll)-Fühlen als ein Pol eines Ich-Komplexes einerseits und ihr Mangel verbunden mit Schuldgefühlen oder schlechtem Gewissen andererseits sind als Ich-Komplex (oder als Ego-State oder als Teilpersönlichkeitskomplex) körperlich-neuronal, energetisch, affektiv und geistig bzw. kognitiv in mir repräsentiert.
Unter einem Komplex wird ein assoziativer Zusammenhang von Vorstellungen, Gefühlen, Gedanken und Phantasien verstanden, welche neuronal untereinander vernetzt sind und gleichzeitig energetisch miteinander aufgeladen und wirksam werden.
Wenn auch die genannten Bedürfnisse und Werte mehr oder weniger ineinanderfließen, so bleibt vielleicht dennoch zum besseren Verständnis die Vorstellung hilfreich, dass jedes Bedürfnis einen eigenen Teilpersönlichkeitskomplex bildet, der gleichzeitig körperlich, affektiv, geistig und energetisch mit wechselnder Intensität in Erscheinung tritt.
Das Schuldgefühl vermittelt nun auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig: Ich habe z. B. das Bedürfnis, die Wahrheit zu sagen (Wahrheit ist ein Wert), und ich habe trotzdem gelogen. Dann vermittelt („sagt“) mir mein Schuldgefühl, dass es innerhalb des einen Teilpersönlichkeitskomplexes „Wahrheit“ zu einer Ist-Soll-Diskrepanz gekommen ist, weswegen ich mich nun schlecht, beschämt und minderwertig fühle. Schuld entspricht hier der Spannung zwischen den Polen des Wertes Wahrheit und des Minderwertes Unwahrheit.
Das Schuldgefühl vermittelt genauso bei Bedürfniskonflikten zwischen zwei oder mehr verschiedenen Teilpersönlichkeitskomplexen.
So kann z. B. ein Teilpersönlichkeitskomplex für die Treue zu elterlichen Werten eintreten und die Fortführung des Familienbetriebs fordern, während ein anderer einer Berufung als katholischer Geistlicher folgen möchte und ein dritter für eine Heirat und für die Übernahme der Landwirtschaft der Schwiegereltern eintritt.
Wie immer ich mich entscheide, die unerfüllten Bedürfnisse bzw. Werte bleiben mit Schuld oder schlechtem Gewissen affiziert. Da nun jeder dieser qua Aufmerksamkeitsfokussierung mit meiner aktuellen Lebensenergie aufgeladenen Teilpersönlichkeitskomplexe körperlich, gefühlsmäßig, energetisch und geistig in Erscheinung tritt, bildet sich der damit verbundene Schuldkonflikt eben überall dort auch ab. Weil nun jeder Teilpersönlichkeitskomplex mich in eine andere Richtung ziehen will und an bzw. in mir als Gesamtperson zu ziehen scheint, spüre ich körperlich vielleicht Spannungen bis hin zu Schmerzen, Verkrampfungen, Herzklopfen, Zittern, Globusgefühl im Hals, Übelkeit, Durchfall und andere unangenehme Symptome. Emotional bzw. affektiv bin ich bedrückt, beschämt und ängstlich gestimmt, was mehr oder weniger spürbar mit einem Gefühl von Minderwertigkeit einhergeht.
Meine Gedanken sind negativ, quälend und sie kreisen meist um das Problemthema.
Mein Energieniveau ist niedrig und ich fühle mich kraftlos.
Solange ich das nur für eine lästige Krankheit halte und die Symptome mit Medikamenten bekämpfen will, werde ich keine Lösung finden.
Erst wenn ich unschuldig die „Schuld“ für meine Verfassung übernehme und die Schuld für die jeweilige Nichterfüllung der beschriebenen Bedürfnisse anerkenne, gebe ich den unerfüllten Werten (z. B. keine Betriebsübernahme bei den Eltern und kein Priestertum) damit ihre Wertschätzung zurück.
Die Schuldempfindung wirkt gleichsam wie die Wertschätzung als Medium und Kraftfeld, das mich als konkrete Person in mir selbst mit meinen scheinbar gegensätzlichen Teilpersönlichkeiten und mich gleichzeitig in und mit meiner aktuellen Welt zusammenhält.
In dem beschriebenen Beispiel hält die Schuldempfindung die Verbindung zu den unerfüllten Werten „Fortsetzung der Familientradition“ bzw. „Priestertum“, sodass sie als Teilpersönlichkeiten in meiner Gesamtperson aufgehoben bleiben.
Je mehr ich mich jedoch in meinem Ist-Soll-Konflikt auflade („du musst allen Werten gerecht werden, du darfst nicht schuldig sein“), um ihn dadurch irgendwie zu lösen, umso bedrückter, beschämter, ängstlicher und minderwertiger fühle ich mich.
Kämpfe ich dagegen an, dass ich diesen Konflikt überhaupt habe, lade ich ihn ebenfalls noch mehr auf, da ich ihm durch meine „kämpferische Zuwendung“ ja noch mehr Aufmerksamkeit und damit Energie zuführe.
Der Teilpersönlichkeitskomplex, den ich unabhängig vom jeweils gerade aktuellen Thema des Ist-Soll-Konflikts mitaktiviere und dadurch bahne, ist der Lösung-durch-Kampf-Komplex, der etwas lösen bzw. Unangenehmes wegmachen möchte, indem er es bekämpfen will. Dem liegt die tiefsitzende Überzeugung zugrunde, dass ich umso eher bzw. sicherer zum gewünschten Ziel komme, je mehr ich gegen das Unangenehme bzw. das Ungewünschte ankämpfe.
Ein anderer, entwicklungsgeschichtlich früherer und damit auch ein (von Autoritäten) abhängigerer bzw. unreiferer Teilpersönlichkeitskomplex ist, dass ich mir die Zustimmung bzw. die Erlaubnis bzw. die Absolution einer „höheren Autorität“ (Vater, Mutter, Pastor, Führer) einhole.
Das geschieht zunächst wie selbstverständlich, wenn ich unreflektiert genauso fühle, denke und handele, wie das die Eltern in vergleichbaren Situationen tun würden.
Ich kann mich dabei tatsächlich bei den Autoritäten vergewissern, dass meine Meinung, meine Haltung oder mein Verhalten in ihrem Sinne ist oder ich rufe meine inneren Repräsentanzen dieser Autoritäten in mir auf und frage mich, wie sie etwas bewerten würden.
Diesen Teilpersönlichkeitskomplex, den jeder als Teil seiner Persönlichkeit in sich trägt, bezeichne ich als den Lösung-durch-Erlaubnis-der-Autorität-Komplex.
Eine andere Bezeichnung wäre Rechtfertigung-durch-Autorität-Komplex oder Qua-Autorität-Erlaubnis-Komplex.
Dieser Teilpersönlichkeitskomplex ist mehr oder weniger ständig in mir wirksam.
Ich bin zumindest auf einer vorbewussten Ebene andauernd mit der Abgleichung beschäftigt, ob ich sozial in Ordnung bin, in Ordnung war oder in Ordnung sein werde. Wenn ich in eine bestimmte soziale Situation komme (Vortrag, Feier, Einladung, Elternabend, Verabredung), suche ich nach dem dieser Situation angemessenen Verhalten bzw. meiner passenden Rolle, wobei ich gleichsam intuitiv den gerade jetzt in dieser Situation geltenden und erlaubten Verhaltensweisen gerecht werden möchte. Je unvertrauter mir die jeweilige Situation ist, desto angespannter, steifer und unsicher bin ich, da ich in Unkenntnis der geltenden Regeln bzw. des angesagten Komments nicht weiß, was von mir erwartet wird (darf ich mein Jackett ausziehen oder nicht; darf ich klatschen oder nicht; darf ich aufstehen oder muss ich sitzenbleiben usw.).
Die hier maßgebliche Autorität bzw. die Gruppe oder die soziale Situation selbst, der gegenüber ich es recht machen will, ist dabei anonym. In meiner Not greife ich dann auf das zurück, was mir meine primären Autoritäten (Eltern) für solche Situationen „vorbildlich“ an Verhaltensweisen vorgegeben haben.
Zu diesem Teilpersönlichkeitskomplex gehört also auch der Ich-Zustand, der ständig fragt, was ich tun soll, was ich vielleicht falsch gemacht habe, was ich in Zukunft anders machen müsste oder wie ich besser die Wertschätzung einer wie auch immer gearteten Autorität, ihre Erlaubnis oder ihre Absolution erhalten könnte. Dadurch spanne ich in mir ständig die Zeit zwischen Vergangenheit (was haben die Autoritäten vorgegeben?) und Zukunft (was soll ich in einer zukünftigen Situation tun?) auf und erlebe mich so kaum im Jetzt. Ich gerate in belastende Konflikte, wenn in mir die Repräsentanzen konkurrierender Autoritäten hochgefahren und aufgeladen werden, die mir gegensätzliche Vorgaben machen (z. B. die Repräsentanzen der Eltern einerseits und die des Chefs andererseits).
Ebenso verunsichere ich mich besonders dann, wenn die zukünftige Situation, auf die ich mich angemessen einstellen will, um das Richtige zu tun, kaum abzuschätzen ist. Das ist dann auch auf allen Ebenen, geistig-gedanklich, gefühlsmäßig, körperlich und energetisch, mit einem hohen Aufwand und mit Anspannung verbunden. Der Glaube an eine absolute Autorität, der ich mich im Gegenzug ganz unterwerfe und die mir dafür Rechtfertigung, Absolution und Erlaubnis gibt, reduziert diesen Aufwand erheblich. Ich quäle mich dann nicht mehr so mit meiner Schuld. Hierin sind auch die Affektlogik und Psychodynamik der heiligen Kriege vom Altertum über die Kreuzzüge bis zum Dschihad begründet.
Grundsätzlich ist es in Ordnung, die Zustimmung, Erlaubnis oder ebenso die Absolution der Autorität(en) haben zu wollen. Freiheit jedoch bedeutet, seine Entscheidungen notfalls auch ohne Erlaubnis zu treffen. Doch um diese Freiheit zu leben, ist es notwendig, dass ich mich im Sinne der autoritären Ordnung, die eben auch eine verinnerlichte Seite von mir ist, schuldig mache.
Die Freiheit ist ebenso wie die Schuld (z. B. sich dafür zu entscheiden, autoritären Vorgaben nicht zu folgen) eine inhärente Seite bzw. ein Persönlichkeitsanteil des Menschseins und damit auch des Menschenbilds.