Alles Leben, wie wir es kennen, wird es spätestens mit dem „Tod“ der Sonne nicht mehr geben.
Doch auch bezogen auf mein individuelles zeitbegrenztes Leben bin ich in Wirklichkeit stets aufgehoben und trage gleichzeitig dazu bei, dass andere in mir aufgehoben sind.
Dieses Aufgehobensein ist prinzipiell von keinen Bedingungen abhängig; also weder von der Verfassung meines Körpers- noch von der meines Geistes- noch von meiner energetischen Formation- noch von meiner Seele. Dies sind alles integrale Faktoren sowohl meiner ständig in einem Prozess befindlichen Person als auch der gesamten Wirklichkeit.
In dieser Wirklichkeit bin ich bedingungslos aufgehoben, ob ich nun krank, gesund, dement, behindert, unversehrt, wach, schlafend, komatös oder tot bin.
Ich bin zu jedem Zeitpunkt in einer lebendigen Verbundenheit mit meiner Umgebung, in dem ich auf sie und sie auf mich einwirkt. Damit bilde ich mich in ihr ab und sie ist in mir abgebildet. Dies lässt sich besonders eindrucksvoll für den Moment meines Blicks in den nächtlichen Sternenhimmel beschreiben. Ich bilde den unendlichen Kosmos mit unzähligen Sternen, deren Licht bereits seit Milliarden Jahren unterwegs ist, in diesem Augenblick in mir ab. Im gleichen Augenblick bilde ich mich im gesamten Kosmos ab, indem ich die unendlich vielen Lichtwellen, die mich erreichen, verändere (ihre Wellenfunktion bricht zusammen) und in veränderter Form, nämlich meiner einzigartigen Form, reflektiere.
Damit erscheine ich, wenn auch noch so diskret, überall dort, wo ich mit meinem Blick den Kosmos entdeckt habe.
Und dies geschieht in unendlich vielen Variationen mein ganzes Leben lang.
Damit habe ich nur einen physikalischen Zusammenhang von wechselseitigen Wirkungen, durch die ich mich im Ganzen integriere, beschrieben.
Die anderen Dimensionen, bspw. die emotionale, sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Doch schon hier wird deutlich, dass solche Kategorien wie krank, gesund, behindert, stark, schwach, unversehrt, wach, komatös oder tot prinzipiell im Sinne des Aufgehobenseins keine Rolle spielen. Emotional und damit auch im Hinblick auf die Bewertung sind sie wesentlich, jedoch keinesfalls einheitlich.
Wenn ich z. B. auf einen Behinderten treffe, kann ich dabei Verunsicherung empfinden- oder Ablehnung- oder Zufriedenheit („Gott sei Dank habe ich das nicht“)- oder Mitgefühl- oder Gleichgültigkeit- oder gar Verachtung.
An genau dieser Stelle entscheide ich dann für mich und gleichzeitig für das Ganze entweder über integrale Gesundheit oder über sogenannte Krankheit.
Mit Verunsicherung, Ablehnung, Selbstzufriedenheit, Gleichgültigkeit oder Verachtung entscheide ich mich für kränkende Trennung, mit meinem Mitgefühl wird gerade die Behinderung zu einem Verbundenheit stiftenden Faktor. Mein Mitgefühl stellt mich mit dem anderen auf die gleiche Stufe, macht uns gleich, eins und ganz. Dieses Ganzsein ist integrale Gesundheit. Ich entscheide auf Grund meines Gefühls, ob ich mich und damit gleichzeitig den Behinderten als getrennt erlebe und mich ausgrenze – dann erscheinen wir beide als krank – oder ob ich ihn als einen wertvollen Teil von mir ansehe – dann erscheinen wir gemeinsam als gesund, ganz und vollkommen.
Der Behinderte wird sich auch in der Identifikation mit den überkommenen Wertvorstellungen und angesichts seiner Einschränkungen selbst als ausgegrenzt und gekränkt erleben und darunter leiden. Ohne diese ihm vorgegebenen Wertvorstellungen könnte er sich wie selbstverständlich gesund und ganz fühlen; um einen extremen Vergleich zu wagen: Ein Wurm ist auch nicht gedemütigt, weil er nur im „Dreck“ kriechen kann.
Damit soll ausdrücklich nichts Abfälliges beschrieben werden – im Gegenteil.
Der Wurm, in unserem menschlichen Wertverständnis Symbol für Minderwertigkeit, kümmert sich vermutlich kaum um unsere Bewertungen und freut sich seines Lebens.
Ein wie auch immer beeinträchtigter Mensch ist aber zunächst einmal von den entsprechenden Abwertungen betroffen und er kann sich aus seinem dadurch bedingten Minderwertigkeitserleben meist nicht aus eigener Kraft befreien. Hier ist es notwendig, dass ich mich mitfühlend auf sein Selbsterleben einlasse und genau dieses Erleben auf mich nehme. Damit erlebt er sich nicht mehr getrennt, sondern verbunden in einer Gemeinschaft.
Seine Beeinträchtigung wird zum Bindung stiftenden Faktor.
Was gemeinhin als Defizit, Mangel, Behinderung, Krankheit, Minderwertigkeit, Sünde- und Schuld definiert wird, was den Menschen als schlecht, böse, unvollkommen, krank, behindert, minderwertig, unerlöst, schuldhaft, sterblich und damit vergänglich erscheinen lässt, wird vermittels des Mitgefühls zum Impuls für Fürsorge und Liebe.
Die Polarität von Gesundheit und Krankheit wird so zur treibenden Kraft, sowohl immer mehr Mitgefühl und Liebe zu entwickeln als auch dadurch ein immer integraleres Bewusstsein des Einsseins zu entwickeln.